Auszug aus Kapitel 9: Resilienz, Achtsamkeit und Selbstfürsorge

Eulen und Lerchen

Wann hast du das letzte Mal in deinem eigenen Rhythmus gelebt? Viele „Eulen“, die morgens gern lange schlafen und abends lange wach bleiben, müssen ihre biologische Uhr verleugnen, weil die Arbeit früh beginnt. Sie erscheinen dann schlecht gelaunt und möchten vor 10 Uhr lieber nicht einmal ans Telefon gehen oder an einem Brainstorming teilnehmen. „Lerchen“, die früh aufstehen und früh zu Bett gehen, quälen sich durch abendliche Geschäftsessen oder Firmen-Events zu Zeiten, zu denen sie normalerweise im Pyjama wären. Ob dann noch viel Verhandlungsgeschick oder Networking erwartet werden kann, ist fraglich.

Studien zeigen, dass ein Leben gegen den eigenen Biorhythmus sehr ungesund ist und sogar zu Diabetes und Herz-Kreislauf-Problemen führen kann.

Früher hieß es „Morgenstund‘ hat Gold im Mund“. Und wer nicht fröhlich pfeifend zustimmte, galt als faul. Entweder waren damals alle Führungskräfte Lerchen oder etwas lief gewaltig schief. Vielleicht passten sich die Menschen nur auf Kosten ihrer Gesundheit den sozialen Konventionen an. Auch Selbstständige, die spät aktiv wurden, wurden oft schief angeschaut.

Zum Glück hat sich das inzwischen geändert: Es gibt Gleitzeit. In einigen Unternehmen muss vor 10 Uhr niemand erscheinen. Doch ist das kreative Zeit-Chaos in Unternehmen die Lösung aller Schlafprobleme und anderer Herausforderungen?

Ganz so einfach ist es nicht. Aber Tatsache ist: Müde passieren die meisten Fehler und Menschen sind im Halbschlaf selten kreativ, freundlich oder problemlöseorientiert. Daher schadet strikter Zeitzwang oft mehr, als er nützt. Auch das bloße Absitzen von Zeit, obwohl die Arbeit längst erledigt ist, fördert nur Frust. Moderne Unternehmen und Teamleitungen sollten daher flexible Arbeits- und Pausenzeiten fördern, anstatt auf ein „Funktionieren nach Werkssirene“ zu setzen.

Wenn jemand nur eine kurze Pause machen und dafür gern früher nach Hause möchte, sollte das möglich sein. Wenn jemand ein tägliches Powernapping mitten in der Arbeitszeit braucht, um danach wieder auf Hochtouren zu arbeiten – warum nicht? Wo realisierbar, sollte man realistische Arbeitsziele für den Tag oder die Woche setzen. Wer seine Aufgaben zufriedenstellend erledigt hat, könnte dann früher frei bekommen oder zu Brainstorming-Runden für Innovation eingeladen werden. Wenn jemand nachts zwischen 22 und 2 Uhr am produktivsten ist, warum sollte man dieser Person nicht erlauben, diese Stunden im Homeoffice zu nutzen oder ihr den Werkstattschlüssel anvertrauen?

Natürlich gibt es Branchen, in denen Schichtarbeit, Stundenlöhne und feste Öffnungszeiten notwendig sind. In solchen Fällen kannst du ein lockeres Meeting zum Thema „Arbeitszeiten“ halten und dein Team fragen, wer unter frühem Aufstehen leidet und wer gern den Nachmittag mit der Familie verbringen würde, dafür aber bereit ist, früh zu starten. Oft lässt sich die Arbeit so verteilen, dass Lerchen früher und Eulen später beginnen können. Wenn du das gut managst, könntest du sogar längere und damit kundenfreundlichere Öffnungszeiten erreichen.

Wenn ein flexibleres Arbeitszeitenmodell nicht möglich ist, könntest du immerhin arrangieren, dass Morgenmuffel morgens im Lager oder im Backoffice arbeiten, wo sie keinen Kundenkontakt haben müssen, während die Morgenmenschen die Kunden bedienen – und umgekehrt. Alternativ lassen sich mehrere Schichtmodelle einführen. Zufriedene, ausgeschlafene Mitarbeitende sind freundlich und aufmerksam, was zu zufriedenen Kunden und guten Bewertungen führt.

Suppenkasper und der Terminkalender

Beim Essen verhält es sich ähnlich wie beim Schlafen. Anfangs nehmen Babys nur Milch zu sich, und das alle zwei bis vier Stunden, ohne Rücksicht auf den Zeitplan der Eltern. Sie essen in ihrem eigenen Tempo. Ob die Eltern gerade eingeschlafen sind oder es momentan sehr eilig haben, interessiert sie nicht. Und genau das sichert ihr Wohlbefinden. Heute erleichtern Milchpumpen, sterile Fläschchen und Kühlschränke das Leben, sodass das Stillen zeitweise delegiert werden kann.

In der Arbeitswelt ist das oft anders. Wann hast du das letzte Mal eine Mittagspause gemacht, die lang genug war, damit du dich wirklich erholt fühlten? Und wenn du das getan hast, wie oft hast du dabei auf die Uhr geschaut, oder daran gedacht, was am Nachmittag noch alles zu tun ist? Hast du dir überlegt, wie viel länger du bleiben müssest, weil du dir diese Pause „gegönnt“ hast?

Im Vergleich: Wie oft hast du im letzten Jahr dein Mittagessen am Arbeitsplatz gegessen und fühltest dich danach immer noch hungrig und konntest dich nicht richtig konzentrieren? Und wie oft hast du in letzter Zeit Fast Food gegessen, weil die Arbeit im Verzug war oder Termine anstanden? Wenn das oft vorkommt, bist du nicht allein.

In Deutschland widmen Menschen dem Essen und Trinken durchschnittlich 105 Minuten pro Tag. Damit liegen sie noch im oberen Bereich der OECD-Länder. Diese Zeit umfasst alle Mahlzeiten des Tages. Das heißt: Auf jede Rentnerin, die es sich mit der Zeitung bequem macht und sich Zeit beim Frühstücken lässt, kommt eine Managerin, die mit Kaffeebecher und Croissant in der Hand ins Büro hastet. In Frankreich verbringen die Menschen täglich eine halbe Stunde mehr mit Essen.

Das mag nicht viel klingen, aber stell dir nur eine zusätzliche Viertelstunde Zurücklehnen und Entspannen in der Mittagspause vor. Unsere Babys scheinen alle kleine Französinnen zu sein, die beim Aufwachsen irgendwann ihren Pass wechseln. Viele Berufstätige tun dies nicht nur aufgrund ihrer Deadlines, sondern auch, weil sie ihrer Frei- und Familienzeit Priorität einräumen und möglichst früh nach Hause möchten. Das ist verständlich und begrüßenswert, solange das Ganze nicht in Stress ausartet und zu Gesundheitsschäden führt.

Die Rolle der Führungskräfte ähnelt in dieser Situation der von Eltern, die sich um ihre Babys kümmern. Wie Eltern sich um ihre Babys kümmern, sollten sich Team Leads um das Wohlbefinden ihrer Mitarbeitenden kümmern und auf deren Bedürfnisse achten. Wie Eltern auf die Signale ihrer Babys reagieren, sind bei Managern feine Antennen gefragt, was das Wohlbefinden des Teams angeht: Wer isst immer am Arbeitsplatz (Recht auf Privatsphäre) und warum (Gefahr: Überarbeitung, Micromanagement)? Wer arbeitet zu viel und aus welchem Grund? Wer fühlt sich nicht gut, und wer profitiert eventuell auf Kosten anderer? Ein gesundes und gut gelauntes Team ist schließlich am motiviertesten und effizientesten.

Wenn Babys mit „richtigem“ Essen anfangen, ist alles neu für sie: jede Textur, jeder Geschmack, jede Temperatur. Manches akzeptieren sie sofort mit Begeisterung, anderes spucken sie wieder aus, und manches probieren sie zögerlich. Babys haben auch unterschiedliche Essensvorlieben. Einige essen begeistert alles, was man ihnen anbietet, während andere fast bei allem die Nase rümpfen. Ihre Eltern kämpfen dann mit der „Flugzeugmethode“ oder anderen Tricks um jeden Löffel. Sie verzweifeln fast dabei, ihr Kind mit nur drei akzeptierten Lebensmitteln großzuziehen. Diese wählerischen Babys werden aber nicht ihr komplettes Leben lang nur drei bis fünf Lebensmittel essen.

Allmählich – so langsam, dass es viele Eltern kaum bemerken – erweitert sich ihr Geschmack. Spätestens im Schulalter haben Kinder klare Favoriten. Sie sind zwar immer noch wählerisch, aber sie verhungern nicht und entwickeln keine Mängel. Zwang zum Essen und Zwang, bestimmte gesunde Lebensmittel zu essen, sind nicht hilfreich. Der Grund: So lernen Kinder nämlich, Gesundes mit „mag ich nicht“ gleichzusetzen und es abzulehnen.

Führungskräfte sollten an Neuerungen ähnlich herangehen wie Eltern an das Essen ihrer Babys. Denn es gibt viele Parallelen: Einige Mitarbeitende hungern nach Neuerungen und möchten jede neue Software sofort ausprobieren und upgraden. Andere möchten beim Gewohnten bleiben und fühlen sich von zu vielen Neuerungen in kurzer Zeit überfordert. Hier ist Geduld gefragt.

Teamleitungen sollten bei der Einführung einer Neuerung – sei es eine Software oder etwas anderes – zunächst darüber sprechen und sie anbieten. Wer sie sofort annehmen möchte, kann das tun. Die anderen können sich erst einmal zurückhalten und zuschauen.

Vielleicht werden einige Mitarbeitende Neuerungen anfangs ignorieren, aber mit der Zeit sehen sie, was andere damit erreichen, und die Neugier wird siegen. Oft denken sie dann: „Es ist gar nicht so schwierig und es hilft wirklich“. Wer aber mit der Tür ins Haus fällt und unvermittelt verkündet: „Ab nächsten Monat machen wir alle das und das, Befehl von oben“, wird ungefähr so viel Begeisterung wecken, wie Eltern, die ihren Kindern erklären: „Ab morgen gibt es nur noch Brokkoli“.

Veränderung braucht Zeit, Unterstützung, die Möglichkeit zum Ausprobieren und Raum für Feedback – Faktoren, die auch beim Thema Selbstmanagement entscheidend sind.

Achtsamkeit im Arbeitsalltag

Achtsamkeit stärkt die Resilienz und hilft, Stress zu bewältigen. Sie bedeutet, im Moment präsent zu sein und sich bewusst auf aktuelle Aufgaben und Gefühle zu konzentrieren, ohne sie zu bewerten. Diese Praxis verbessert das Wohlbefinden und die Fähigkeit, Herausforderungen gelassener und klarer zu begegnen.

Praktische Achtsamkeitsübungen für den Arbeitsalltag:

  • Atmen und Innehalten: Nimm dir regelmäßig kleine Momente, um tief durchzuatmen. Schließe die Augen, konzentriere dich auf deinen Atem und spüre, wie er ein- und ausströmt. Diese Übung erdet und beruhigt den Geist.
  • Achtsames Zuhören: Übe bei Meetings oder Gesprächen Achtsamkeit, indem du dich voll auf das Zuhören konzentrieren, ohne über deine Antwort nachzudenken. Dies verbessert deine Kommunikationsfähigkeiten und fördert eine tiefere Verbindung mit deinem Gegenüber.
  • Mindful Check-In: Beginne den Arbeitstag oder ein Meeting mit einem kurzen „Check-In“. Halte du und dein Team eine Minute inne und achte auf deine momentane Verfassung. Dies schärft den Fokus und lässt den Tag bewusst starten.
  • Achtsame Pausen: Nutze deine Pausen bewusst, statt sie mit Social Media oder E-Mails zu füllen. Gehe an die frische Luft, strecke dich oder mache eine kurze Meditationsübung. Diese Pausen erhalten deine Energie und Konzentration über den Tag hinweg.
  • Dankbarkeitsübung: Beende den Tag, indem du dich an drei Dinge erinnerst, für die du dankbar bist. Reflektiere die positiven Aspekte deines Tages und richte deinen Geist auf eine positive Note, bevor du Feierabend machst.

Wachstumsschmerzen: Wie Unternehmen durch Wachstum stark werden

In Unternehmen gibt es Phasen, in denen Wachstum wehtut – wie im Leben eines Babys. Diese „Wachstumsschmerzen“ sind oft unvermeidbar, wenn Organisationen expandieren und sich neuen Herausforderungen stellen. Wie Kinder, die nachts wegen ziehender Schmerzen in den Beinen nicht schlafen können, erleben Unternehmen und ihre Teams in Wachstumsphasen Stress und Unsicherheit. Doch wie Babys, die durch das Wachsen stärker und größer werden, sind Wachstumsschmerzen für Unternehmen ein Zeichen dafür, dass sie sich weiterentwickeln. Denn Wachstum signalisiert Erfolg und die Fähigkeit, in einer wettbewerbsorientierten Welt zu bestehen.

Doch Wachsen ist nicht immer einfach. Wenn Unternehmen die Zahl ihrer Beschäftigten erhöhen oder in neue Märkte expandieren, sorgt das zunächst für Unsicherheit. Denn auf einmal müssen Prozesse neu strukturiert, Kommunikationswege angepasst und zusätzliche Ressourcen bereitgestellt werden. Obwohl unangenehm, sind vorübergehende Wachstumsschmerzen notwendig und oft ein Zeichen dafür, dass sich das Unternehmen in die richtige Richtung entwickelt.

Als Führungskraft solltest du Wachstumsphasen aktiv managen, um Fluktuation zu vermeiden. Keine einfache Aufgabe. Der Schlüssel zum Erfolg: Leite dein Team durch diese herausfordernden Zeiten, ohne dass die Schmerzen das Wachstum lähmen. Mit den richtigen Strategien lindern Unternehmen nicht nur die Schmerzen, sondern gehen auch gestärkt und resilienter aus Wachstumsphasen hervor.

  • Erkenne Wachstumsschmerzen frühzeitig: Wie bei Wachstumsschmerzen von Kindern solltest du die Symptome von Wachstumsschmerzen im Unternehmen frühzeitig erkennen, um die Schmerzen möglichst gering zu halten. Identifiziere also Stresspunkte im Team, die sich auf die Zufriedenheit auswirken. Das können übermäßige Arbeitslast, Kommunikationsbarrieren oder Konflikte sein, die durch Veränderungen ausgelöst werden.
  • Kommuniziere transparent: Um Ängste und Unsicherheiten innerhalb des Teams zu lindern, solltest du offen und transparent kommunizieren. Mache deutlich, warum das Unternehmen wächst und welche Veränderungen dies mit sich bringt. So vermeidest du Missverständnisse und schwörst das Team auf das gemeinsame Ziel ein.
  • Setze Ressourcen gezielt ein: Kapital, Technologie oder Fachkräfte: Wachstum erfordert zusätzliche Ressourcen. Stelle als Führungskraft sicher, dass die notwendigen Mittel rechtzeitig zur Verfügung stehen. Denn wenn zu wenige Ressourcen vorhanden sind, kann dies die Wachstumsschmerzen verstärken – und das Unternehmen im schlimmsten Fall in eine Krise stürzen.
  • Fördere Flexibilität: Wachstum und Veränderungen gehen Hand in Hand. Und nicht alle Beschäftigten reagieren positiv auf Veränderungen. Fördere deshalb eine Kultur der Flexibilität und Anpassungsfähigkeit, die Mitarbeitende ermutigt, sich neuen Herausforderungen zu stellen und innovative Lösungen zu finden.