Das Baby-Prinzip ist selektiv – und das ist gut so.

Kürzlich haben Torsten Harmsen in der Berliner Zeitung sowie Sonja Salzburger in der Süddeutschen Zeitung eine charmante, zugespitzt-ironische Kolumne geschrieben, die sich mit meinem Buch “Das Babyprinzip” auseinandersetzt. Die Kernkritik: Babys seien egoistisch, unberechenbar, unselbstständig. Und wissen Sie was? Ich stimme zu!
Denn “Das Babyprinzip” schlägt nicht vor, dass Führungskräfte sich wie Babys verhalten sollen – sondern nutzt Babys als Metapher für grundlegende menschliche Kompetenzen, die in der modernen Arbeitswelt oft verloren gehen:
– Präsenz
– Klarheit der Bedürfnisäußerung
– Neugier
– Lernfreude
– Authentizität

Diese Qualitäten stehen nicht im Widerspruch zu Verantwortungsbewusstsein oder Rationalität – im Gegenteil: Sie ergänzen sie.

Was meine ich damit?
Babys sind Meister der Präsenz
. Sie leben im Moment, spüren ihre Bedürfnisse genau und kommunizieren sie direkt. Wie oft verlieren wir diese Fähigkeit im Berufsleben? Und ja: Babys weinen. Aber sie tun es, wenn etwas nicht stimmt. In einer Welt, in der viele Führungskräfte verlernt haben, ehrlich zu sagen, was sie brauchen – ist das vielleicht gar keine so schlechte Fähigkeit.

Babys lernen radikal effizient. Kein anderes Lebewesen entwickelt sich in so kurzer Zeit so schnell. Warum? Weil sie mutig probieren, scheitern – und es wieder versuchen. Ein Erfolgsrezept, das sich Unternehmen abschauen können.

Babys sind meisterhafte Netzwerker. Ohne Worte schaffen sie tiefe Beziehungen. In einer Welt, in der Mitarbeiterbindung und Kommunikation Schlüsselfaktoren sind, ein unterschätzter Erfolgsfaktor.

Natürlich müssen Führungskräfte verantwortungsvoll, rational und strategisch handeln. Aber sie müssen auch empathisch, lernbereit und offen für Feedback sein. Und genau hier setzt “Das Babyprinzip” an: als Perspektivwechsel, nicht als Rollenvorlage.

Dass die Kolumne provoziert, freut mich. Denn ein gutes Buch soll nicht nur Bestätigung liefern – es soll zum Nachdenken anregen.

Aber: Die Kritik an der Selektivität ist verkürzt: klar, wir lernen nicht alles von Babys. Aber das heißt nicht, dass die selektive Betrachtung wertlos ist – sie ist essentiell, um Lernen überhaupt zu ermöglichen. Kein Managementansatz basiert auf einer vollständigen Übertragung von etwas anderem: Niemand übernimmt die Arbeitsweise von Toyota oder Amazon oder das Verhalten von Wölfen im Rudel in Gänze – entscheidend ist, was wir sinnvoll übertragen.

In diesem Sinne: Lassen wir uns von Babys inspirieren – nicht, um Windeln zu tragen, sondern um Führung mit mehr Neugier, Klarheit, Empathie, emotionaler Intelligenz, Networking und echter Kommunikation zu leben.

P.S.: Selbst die Beispiel-Kritikpunkte aus der Kolumne lassen sich im Sinne des Babyprinzips umdeuten:
– Babys ziehen an den Haaren: Frühzeitiges, direktes Feedback – Führung braucht Feedbackkultur
– Babys kennen keine Grenzen: Lernkultur akzeptiert Scheitern als Teil des Fortschritts
– Babys sind unselbstständig: Menschen sind soziale Wesen – auch Führung ist keine Einzelleistung
– Chef soll nicht nur durch ‚Aua‘ lernen: Stimmt! Genau deshalb braucht es reflektierte Erwachsene, die aus der Baby-Metapher sinnvolle Aspekte extrahieren.

Illustration: Claudia Meitert

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